Die Essayistin Sabine Scholl beginnt ihr Buch Die Welt als Ausland mit einem Traum von wissenschaftlicher Zitatzensur – das Zitieren von Zitaten solle verboten werden, um dem postmodernen Treiben eine Ende zu setzen – und mit einem potenziert indirekten Zitat: Der Ausspruch eines Mönchs aus dem 12. Jahrhundert, dass Vollkommenheit darin liege, die ganze Welt als Ausland betrachten zu können, wird von ihr als Zitat eines Zitats (der Filmemacherin und Theoretikerin Trinh T. Minh-ha) eines Zitats (bei Edward Said) übernommen. Entsprechend ist sie selbst in ihrem Text fast ausschließlich auf den ersten Seiten mit wenigen Abschnitten als Autorin zitierbar. Die Frage: Wer übersetzt? rückt gerade mit dieser Schreibweise in den Fokus. Denn Sabine Scholl benennt ihre Position und die der behandelten und zitierten Autorinnen und Übersetzerinnen, ihrer Texte und Lebenswege als ein »Dazwischenstehen«:
In die erlaubte wie in die andere, verbotene Welt sehen können, war eine Haltung, die ich im Haus meiner Kindheit lernte. Mit dem Aufbruch in andere Städte und schließlich in der Berührung mit anderen Sprachen und Kulturen wurde das Interesse an Schriftstellerinnen und Schriftsteller[n], die sich in mehreren Welten bewegen, verstärkt …
Sabine Scholl
Im späteren Verlauf ihres Buches wird Sabine Scholl fast kontinuierlich mit anderen sprechen und so verschiedene Perspektiven ineinander übergehen oder aufeinander stoßen lassen. Was diese verbindet, ist die Erfahrung oder Reflexion der Auflösung von klaren Zugehörigkeiten. So formuliert sie mit Blick auf historische Vermittlerinnen, darunter Malinche und Dayuma, die unter den historischen Bedingungen der Kolonialisierung und Missionierung des südamerikanischen Kontinents zu Übersetzerinnen wurden:
Übersetzer sind als Vermittler zwischen den Sprachen und Kulturen weder mit der einen noch der anderen Seite der Übersetzung identisch. Obwohl sie daran arbeiten ein System im anderen zu verorten, ist ihre Voraussetzung eigentlich das Aufgeben eines für immer festgelegten Ausgangsortes, an den endgültig zurückzukehren möglich wäre.
Sabine Scholl
Es sind nicht der Übersetzer, die Übersetzerin als Person oder Subjekt, die aufgegeben werden oder sich selbst aufgeben müssen, so dass die Frage: Wer übersetzt? irrelevant wird. Was gelöst oder gelockert wird, ist eine bestimmte raumzeitliche Ausrichtung, eine Verankerung, aus der das »von…nach« in eine formelhafte Erstarrung kippen könnte. Gerade weil gegenüber dem Text der Übersetzung gerne der Anspruch erhoben wird, ein reibungsloses Medium sein zu sollen, binden sich Forderungen und Vorwürfe unterschiedlichster Provenienz an die Übersetzer-Figur, wie die von Treue und Verrat.
Das Schicksal dieser frühen Übersetzerinnen war es, von beiden Seiten gebraucht und schließlich verachtet zu werden. Ihre Flexibilität, die Voraussetzung ihrer Vermittlungsarbeit gewesen war, hinterließ psychische und körperliche Spuren und wurde schließlich von den vor Ort Gebliebenen als Verrat ausgelegt.
Sabine Scholl
Weil aber die Sprachenarbeit des Übersetzens sich nicht in den gewohnten Proportionen, Relationen und Dynamiken vollzieht, bleibt es an individuelle und historische Text-, Sprachen- und Subjektivierungskonstellationen in eben jenem Dazwischen gebunden, das Sabine Scholl zitierend durchstreift. Eine gelungene Übersetzung, wem immer sie auch gelingen mag, vermittelt womöglich das beruhigende Gefühl, es habe alles seine Richtigkeit. Oder sie konfrontiert uns mit überraschenden, bedenkenswürdigen Wendungen und vielleicht auch mit der Frage, wie sie zustandekam und wem wir sie verdanken.
Zum Weiterlesen:
❁ Sabine Scholl, Die Welt als Ausland. Zur Literatur zwischen den Kulturen. Wien: Sonderzahl 1999. (Zitate auf S. 96f., S. 17f.)